1. Juli 2021 / Aus aller Welt

Abstand, Urlaub, Bildung: Was bleibt nach der Pandemie?

Wollen wir nach der Pandemie wirklich nichts mehr von Abstand, Maske und digitalem Lernen wissen? Ein Ausblick in die Zukunft nach Corona.

Ein Schild mit dem Hinweis zu Abstandsregeln in einer Stadtbibliothek.
von Marc Fleischmann, dpa

Es gibt Spötter, die behaupten: Wenn das Coronavirus irgendwann einmal besiegt sein sollte, dann wird alles wieder wie vorher. Experten schätzen das allerdings anders ein.

ABSTAND:

Das Coronavirus hat uns gelehrt, auf Abstand zu gehen. Für den Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski wird das Teil unseres Lebens bleiben. «Abstand wird der neue Anstand», sagt er. Insgesamt werde der zwischenmenschliche Umgang distanzempfindlicher, prognostiziert Opaschowski und nennt ein Beispiel: Das Händeschütteln bei jeder Gelegenheit verliere seine dominante Bedeutung.

MASKE:

Neben dem Abstand ist auch die Maske ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Corona. Aber was ist damit nach der Pandemie? Für Matthias Horx, Gründer des Zukunftsinstituts mit Standorten in Frankfurt am Main und in Wien, ist das eindeutig: «Sie wird kaum bleiben», sagt er und begründet das mit der Kultur, das Gesicht zu zeigen oder zu verhüllen. «In Asien passt das zum kulturellen Kodex, hier eher nicht.» Es müsse jahrelang ein wiederkehrendes Infektionsgeschehen geben, bis wir uns im Alltag daran gewöhnen würden, erklärt Horx.

Zukunftsforscher Opaschowski sieht die Maske eher als neuen Teil einer «Gesellschaft des langen Lebens». In ihr gelte: «Ohne Gesundheitsbewusstsein ist fast alles nichts wert.» Das gute Leben fange mit der Einhaltung von Gesundheits- und Hygieneregeln an. Wer etwa zu viel Nähe in Bahn, Bus oder Flugzeug zulassen müsse, «trägt lieber eine Maske», erklärt Opaschowski.

NEW WORK:

Ein Sinnbild der Corona-Krise ist auch das verwaiste Großraumbüro. Abstand halten geht eben am besten, wenn man alleine im Homeoffice arbeitet. Arbeiten wir nach der Krise wie vorher? Nein, denn es gibt bereits jetzt Firmen, die es ihren Mitarbeitenden freistellen, von wo sie wann tätig sind.

Es zeige sich, «welche Unternehmen eine konstruktive Vertrauenskultur, und welche eine Misstrauenskultur haben», sagt Zukunftsforscher Horx. Er ist sich sicher, dass die «Neue Arbeitswelt» (Englisch: New Work) Arbeits- und Organisationsstrukturen erzeugt, «die weg von den klassischen 9- to-5-Präsenzkulturen führen». Privat- und Berufsleben näherten sich weiter an und wüchsen zusammen, erklärt Opaschowski. Das mache eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie realistischer. Erfolgreich sein werden nach Meinung von Horx die Unternehmen, die flexible Angebote für das Zusammenspiel zwischen Arbeit und Privatleben parat haben.

SPORT:

Seit Beginn der Pandemie haben sich viele Deutsche weniger bewegt - und zugenommen. Das geht aus einer Umfrage des Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin an der TU München mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa hervor. Demnach haben rund 40 Prozent der Befragten an Gewicht zugelegt - im Durchschnitt 5,6 Kilogramm. Zudem bewegt sich gut die Hälfte (52 Prozent) weniger.

Ein Grund könnten geschlossene Fitnessstudios und Schwimmbäder sein. Übrig bleibt Laufen oder eine Trendsportart: Der Hula-Hoop-Reifen feiert gerade ein Comeback. Auch das Stand-up-Paddling (kurz SUP) wurde im Corona-Jahr zum Massenphänomen. Eine Renaissance - vor allem bei jungen Leuten - erlebte das Wandern, was den Sprecher von Visit Berlin, Christian Tänzler, zur Aussage bewegte: «Wandern ist das neue Clubbing.»

Für Zukunftsforscher Horx ist das kein Wunder. «Alle Natursportarten boomen, weil wir uns aus dem In-der-Wohnung-hocken-und-auf- den-Bildschirm-Starren in der Krise herausbewegen müssen», sagt er. «Die Krise hat die Sehnsucht nach Naturerfahrung intensiviert, das sieht man auch an der verstärkten Bedeutung des Ökologischen.» Angesagt in der Nach-Corona-Zeit werden seiner Einschätzung nach flexibler Mannschaftssport und «spirituelle» Sportarten jenseits des Leistungssports sein - wie Yoga, Joggen oder eben Wandern.

URLAUB:

Das Coronavirus verändert unseren Urlaub. An- und Abreise etwa erfolgen eher mit dem Auto als mit dem Flugzeug. Das belegt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Mit rund 68 Prozent steht demnach das Auto als Transportmittel an erster Stelle. Auf Platz zwei folgt das Flugzeug, denn 35 Prozent ziehen 2021 eine Flugreise in Betracht. Bei den Reisezielen führt Deutschland mit 46 Prozent vor dem europäischen Ausland (33 Prozent).

Zukunftsforscher Opaschowski bezeichnet Urlaub als «populärste Form von Glück». Das wollen die Menschen nach langer Entbehrung wieder erleben. Auch wenn sie dafür anders reisen müssten, sagt Opaschowski. Kollege Horx erklärt, dass es zwar künftig immer noch einen Billig- und Vergnügungssektor geben, das nachhaltige «Conscious Travelling» (Deutsch: bewusstes Reisen) aber deutlich wachsen werde. Dass es mit dem Reisen einmal ganz vorbei sein könnte, sieht Opaschowski nicht: «Die Mobilität stellt in der gesamten Menschheitsgeschichte ein urmenschliches Bedürfnis dar.»

BILDUNG:

Die Corona-Krise traf das deutsche Bildungssystem wie ein Hammer. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende als «Digital Natives» kennen und nutzen elektronische Geräte zu Hause oft seit ihrer Kindheit. Dagegen wurden die Bildungseinrichtungen auf eine harte Probe gestellt, es zeigten sich erhebliche Lücken und Schwächen. Aus einer Studie der Universität Göttingen etwa geht hervor, dass jede zweite Schule kein Wlan für Lernende anbietet. Befragt wurden bundesweit mehr als 2000 Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I und II.

Zukunftsforscher Opaschowski glaubt indes an einen Digitalisierungsschub durch die Pandemie. «Digital wird völlig normal», lautet seine Prognose. Hybride Lernformen zwischen Online und Präsenz hätten eine große Zukunft vor sich.

Die Digitalisierung als Allheilmittel für die deutsche Bildung? Horx bremst: Der Irrtum dieser Debatte sei, dass man glaube, man könne damit generell die Bildung verbessern. «Bildung ist immer eine zwischenmenschliche Dimension», sagt Horx. Da das Lernen seiner Ansicht nach vor allem eine persönliche Begegnung sei, bezeichnet er die Formel «digitales Lernen» als «Unsinn». «Wir lernen in Wahrheit nur analog, weil das menschliche Hirn, der Mensch selbst, eben kein Computer ist. Wir können digitale Hilfsmittel nutzen, aber wir sollten uns hüten, das Lernen zu entpersonalisieren.»


Bildnachweis: © Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa
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