22. Dezember 2022 / Aus aller Welt

Butterkekse und Heimatgefühl

Nach fast 50 Jahren drohte einem deutschen Lebensmittelladen in San Francisco das Aus. Die alte Besitzerin hörte auf. Dann sprang eine jüngere Kundin ein und setzte ihre «Schnapsidee» um.

Hannah Seyfert hat den alteingesessenen Lebensmittelladen
von Barbara Munker, dpa

Für Hannah Seyfert aus Hannover war es «eine volle Schnapsidee» und auch ein bisschen Eigennutz: Sie hat einen alt eingesessenen deutschen Lebensmittelladen in San Francisco, der vor der Schließung stand, übernommen. «Wo würde ich denn sonst meine Butterkekse, Früchtetee und Tempo-Taschentücher herbekommen», erzählt die 37 Jahre alte neue Besitzerin von«Lehr's German Specialties» mit einem Augenzwinkern.

Vor kurzem arbeitete Seyfert noch im Business Development, 2016 war sie ihrem deutschen Mann nach San Francisco gefolgt. Jetzt räumt sie Regale ein, stapelt Stollen, Wurst und Schokolade, steht an der Kasse und erfüllt Kundenwünsche - auf Englisch und Deutsch. «Do you have dumpling mix?», fragt eine Anruferin. Na klar gibt es bei «Lehr's» Knödelmischungen jeglicher Art. 

Eine urig-deutsche Institution

Der Laden in San Franciscos Stadtteil Noe Valley ist seit den 1970er Jahren eine urig-deutsche Institution. Fast 50 Jahre lang stand Brigitte Lehr aus Bad Kreuznach hinter der Ladentheke. Die alten Holzregale waren gefüllt mit allen erdenklichen Importen «Made in Germany»: von Marzipan über Sauerkraut bis Vanillezucker, Bierkrüge und Dirndl. «Ich bin steinalt», scherzte die immer noch rüstige Geschäftsfrau kürzlich beim Weihnachtseinkauf in ihrem früheren Laden.

Wegen eines Augenleidens hatte die 87-Jährige im August die Schließung von «Lehr's» verkündet. Für die in der Nachbarschaft lebende Kundin Seyfert war das Geschäft da schon «ein bisschen Heimat so viele Meilen von Zuhause weg». «Ich dachte, es wäre wirklich schade, wenn der letzte deutsche Laden in San Francisco weggeht.» Nach einem spontanen Anruf bei Brigitte Lehr ging es Schlag auf Schlag. Ihr sei das Herz in die Hose gerutscht, als sie im September den Mietvertrag unterschrieb, räumt Seyfert ein.

«Heimat Since 1974»

Mit Unterstützung ihres Mannes, der in der Tech-Industrie arbeitet, packte sie das Abenteuer an - zunächst als Selfmade-Handwerkerin. Mit blaugrauer Farbe, neuen Holzböden und modernen Regalen verpasste sie dem Laden einen gänzlich neuen Anstrich, doch Seyfert hielt auch an alter Tradition fest. Der Name blieb, versehen mit dem neuen Logo «Heimat Since 1974». Zwei verwitterte Holzfiguren mit grüner Dirndl-Bemalung zieren weiterhin die Geschäftsfassade, drinnen erinnern gerahmte Fotos an den alten Look von «Lehr's».

«Was für ein Segen, dass Hannah übernommen hat», freut sich Brigitte Lehr. Und die Kunden stimmen ihr zu. «Es ist einfach fantastisch, dass der Laden wieder auf hat», sagt William Hall, seit den 1990er Jahren ist der Amerikaner hier Kunde. In seinem Einkaufskorb: deutscher Kaffee, Kekse, Spätzle, Weingummis und Rübenkraut.

Seyfert mischt das Sortiment von Importware aus Deutschland mit Produkten aus der Region auf. Jeden Freitag liefert eine Konditorei in San Francisco Schwarzwälder Kirschtorte, Bienenstich, Berliner und Franzbrötchen. Samstags gibt es Brezeln von «Squabisch», einer kleinen Bäckerei in Berkeley, die auf schwäbisch-kalifornische Kost setzt. «Die Brezeln werden uns wirklich aus den Händen gerissen», meint Seyfert. Und der deutsche Metzger «Wurstmeister Benz», ein Familienbetrieb in der zwei Autostunden entfernten Sierra Nevada, liefert Leberkäse, Landjäger, Brat- und Blutwurst.  

«Die Nachricht, auf die viele Kunden gewartet haben: Jetzt verkaufen wir Quark», gab Seyfert Mitte Dezember stolz auf der Instagram-Seite des Ladens bekannt. Quark ist in den USA kaum zu finden, doch auf einem Bauernmarkt spürte die Jungunternehmerin einen Käsehersteller auf.

Bis zu 20 verschiedene Sorten Stollen

Auch handgemachte Schokolade von einer Manufaktur in Erfurt will Seyfert in ihr Sortiment aufnehmen - und damit dem Hersteller Goldhelm den Markteintritt in den USA verschaffen. Waren müssen die Auflagen der US-Lebensmittelbehörde FDA erfüllen, was Importe mitunter erschwert. 

In wenigen Wochen, mitten in dem turbulenten Weihnachtsgeschäft, hat die Newcomerin schnell dazugelernt. Sie habe schon viele Sachen nachbestellen müssen, um die Regale zu füllen. «Wir haben bis zu 20 verschiedene Sorten Stollen, die Kunden sind da sehr speziell», erzählt Seyfert.

Nur montags ist Ruhetag, an allen anderen Tagen ist die 37-Jährige von morgens bis abends im Einsatz. Vor allem der Ansturm am Wochenende sei «der absolute Wahnsinn». «Das fühlt sich aber nicht wie Arbeit an, das ist mein Baby», strahlt Seyfert. Sie hat schon weitere Pläne. «Wir wollen das größer aufziehen» - mit mehr Läden an anderen Standorten und Online-Verkauf.

Seyfert schwört auf Qualitätsware «Made in Germany». Viele Lebensmittel enthielten beispielsweise weniger Zucker als vergleichbare US-Produkte. Zudem würde sie gerne «ein bisschen deutsche Kultur vermitteln» - derzeit mit vielen Sorten Butterkeksen, Marzipan und Weihnachtsstollen.


Bildnachweis: © Barbara Munker/dpa
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