19. Januar 2023 / Aus aller Welt

Forscher sehen enormen Aufholbedarf bei CO2-Entnahme

Viel zu viel CO2 gelangt in die Atmosphäre. Wissenschaftlern zufolge führt kein Weg daran vorbei, Teile davon wieder herauszuholen. Forscher stellen bei einer Bestandsaufnahme enorme Lücken fest.

Zur Einhaltung der Klimaziele muss die CO2-Entnahme einem Bericht zufolge weiterentwickelt werden.
von Larissa Schwedes, dpa

Unentwegt pustet die Menschheit klimaschädliches CO2 in die Atmosphäre - und heizt damit den Planeten auf. Dass die Emissionen zur Eindämmung der Klimakrise sinken müssen, ist weitgehend Konsens.

Doch lässt sich das schädliche Klimagas auch effektiv wieder aus der Atmosphäre holen? Ein aktueller Bericht bescheinigt der Staatengemeinschaft enormen Aufholbedarf.

«CO2-Entnahmen sind eine Notwendigkeit. Sie werden nicht vom Himmel fallen, wir müssen uns darum kümmern», sagte Jan Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), einer der Studienautoren, in einem Online-Briefing vor Journalisten.

Erster Bericht seiner Art

Gemeinsam mit anderen Klimaforschern aus Deutschland, Großbritannien und den USA veröffentlichte Minx eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme dazu, inwieweit Methoden der Entnahme von klimaschädlichem CO2 aus der Atmosphäre bereits angewendet werden und wie sie genutzt werden müssten, um die internationalen Klimaziele zu erreichen. Der Bericht ist nach Angaben des Teams der erste umfassende seiner Art und soll der Auftakt einer Serie sein.

Das zentrale Fazit: Obwohl die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre unabdingbar für die Einhaltung der Pariser Ziele ist, sehen Staaten in ihren Klimaschutzplänen die Weiterentwicklung neuartiger Formen kaum bis gar nicht vor. Zwar werde auch heute schon CO2 aus der Atmosphäre entnommen, allerdings fast ausschließlich durch konventionelle Methoden wie Aufforstung.

Verschiedene Methoden zur CO2-Entnahme

Davon unterscheiden die Wissenschaftler neuartige Methoden wie direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit anschließender Speicherung (DACCS) oder Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS). Dabei wird - ganz grob gesagt - Energie aus Pflanzen gewonnen und das dabei entstehende CO2 anschließend gespeichert. Da die Pflanzen immer wieder nachwachsen, können sie auf diese Weise der Atmosphäre CO2 entziehen. Ohne diese neuartigen Methoden gehe es nicht, so die Einschätzung der Autoren des Berichts.

Aktuell werden mit den neuartigen Methoden dem Bericht zufolge gerade einmal 0,002 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) CO2 pro Jahr gebunden. Zur Erreichung der Klimaziele müsste - über verschiedene Szenarien gemittelt - bis 2030 30 Mal so viel entnommen werden, bis Mitte des Jahrhunderts sogar 1300 Mal so viel.

«Da stehen wir wirklich noch total am Anfang, wir stehen fast noch bei Null», so Experte Minx. Zum Vergleich: Schätzungen zufolge betrug der globale CO2-Ausstoß im Jahr 2022 40,6 Gigatonnen.

Verringerung der Emissionen trotzdem notwendig

Die Wissenschaftler warnen davor, die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre als Alternative zu ambitioniertem Klimaschutz zu sehen. Eine rasche und tiefgreifende Verringerung der Emissionen sei dringend notwendig.

«Es geht nicht um Entweder-oder. Wir brauchen beides», sagte Mitautor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In allen realistischen Szenarien, die zur Erreichung der Pariser Klimaziele vorlägen, sei die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eingeplant. Hier klaffe jedoch eine große Lücke zwischen dem Ziel und dem aktuellen Stand dessen, was die Länder umsetzen oder konkret planen.

Die Weltgemeinschaft hatte in Paris vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau deutlich unter zwei Grad zu halten, möglichst aber bereits bei 1,5 Grad zu stoppen. Damit sollen die Überschreitung gefährlicher Kipppunkte mit unumkehrbaren Konsequenzen vermieden und die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abgewendet werden. Dafür sind die bislang geplanten Maßnahmen der Staaten jedoch längst nicht ambitioniert genug.

Kein Land lege mit seinen nationalen Klimazielen einen Plan vor, wie neuartige Entnahmemethoden bis 2030 skaliert werden sollen, heißt es im Bericht. Selbst bei den langfristigeren Klimazielen bis 2050 werde dies bislang kaum eingeplant.

Rest-Emissionen müssen ausgeglichen werden

Gleichzeitig weisen die Forscher darauf hin, dass jedes Land oder Unternehmen, dass sich ein Netto-Null-Emissionsziel - allgemeinhin als Klimaneutralität bezeichnet - gesetzt habe, die Entnahme von CO2 bereits mit eingepreist habe. Denn es werde immer Rest-Emissionen geben, die ausgeglichen werden müssten.

Politik und Wissenschaft müssten daher klären, welche Methoden sie zur CO2-Entnahme einsetzen wollten, in welchem Ausmaß diese genutzt werden und wer das bezahlen solle. «Wer darauf keine Antwort hat, dessen Netto-Null-Ziel kann man eigentlich nicht richtig ernst nehmen», so Experte Geden.

Die kommenden Jahre sind entscheidend

Die kommenden Jahre sind laut den Autoren entscheidend dafür, neuartige Methoden zur CO2-Entnahme weiterzuentwickeln und politische Rahmenbedingungen für ihre Skalierung zu schaffen. Nur wenn dies geschehe, sei es realistisch, dass sie wie benötigt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in großem Maßstab zum Einsatz kämen.

Ob dies geschehe, hänge auch von der öffentlichen Wahrnehmung des Themas ab, betonte Christine Merk vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, die den Bericht begutachtet hat.

Ausschlaggebend dafür sei auch, wer wie über das Thema diskutiere, etwa in der Politik. «Bislang wird das so wenig diskutiert, dass es in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und nicht differenziert betrachtet wird.» Tendenziell sei die Zustimmung zu konventionellen, natürlichen Methoden wie der Aufforstung höher als zu unbekannteren Entnahme-Methoden. Doch die konventionellen Maßnahmen haben ihre Grenzen: So könnten steigende Temperaturen auch Bäumen zusetzen, das mache sie als verlässliche CO2-Speicher anfälliger, merkte Experte Geden an.


Bildnachweis: © Martin Zetina/AP/dpa
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