21. Juli 2022 / Aus aller Welt

Frauen ausreichend vor männlicher Gewalt geschützt?

Frauenrechtsorganisationen beklagen, dass Deutschland im Kampf gegen sogenannte Femizide hinterherhinkt. Der Staat müsse mehr Geld in die Hand nehmen, so die Forderung.

Die Initiative gegen Femizide begleitet den Mordprozess gegen den Ehemann der getöteten Besma A. aus Einbeck. Die Aktivistinnen organisierten bereits mehrere Mahnwachen vor dem Landgericht ...
von Christina Sticht, dpa

Die 27-jährige Besma A. schläft auf dem Sofa, als ihr Ehemann die dreifache Mutter mit einem Kopfschuss tötet. Er habe sie beim Reinigen der Pistole versehentlich erschossen, sagt der Mann später der Polizei. Das Landgericht Göttingen wirft ihm heimtückischen Mord vor.

Eine Mutter von sechs Kindern wird in Berlin auf der Straße erstochen. Tatverdächtig ist ihr Ehemann, von dem sie sich getrennt hat. Im hessischen Schwalmstadt stirbt eine 53-Jährige in einem Supermarkt, als ihr Ex-Freund vier Schüsse auf sie abfeuert. Der Mann tötet sich selbst. Sie hatte ihn wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung angezeigt. Nur drei von bundesweit mehr als 100 derartigen Tötungsdelikten jedes Jahr.

Während die Kriminalität in Deutschland insgesamt zurückgeht, steigt die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen. Der statistisch gefährlichste Mann ist der eigene Ehemann oder Ex-Partner, manchmal auch ein Mann, dessen Avancen das spätere Opfer zurückweist. Lange wurde in solchen Fällen oft beschönigend von einem «Beziehungsdrama» oder einer «Familientragödie» gesprochen.

Morde klar als solche benennen

«Das sind Morde! Wir müssen das klar als Femizide benennen», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Mai der «Bild am Sonntag». Frauen würden umgebracht, weil sie Frauen seien. «Dass wir dort ein großes, gefährliches Problem haben, muss sich der Staat eingestehen. Und handeln», meinte die SPD-Politikerin. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte jetzt an, Gewalt gegen Frauen strenger bestrafen und dafür auch das Strafgesetzbuch ändern zu wollen.

Die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes hält mehr staatliche Anstrengungen für überfällig. «Spanien hat schon seit 2004 ein Gesetz zum Schutz von Frauen und seit 2020 eine unabhängige Monitoringstelle, die alle frauenfeindlichen Morde registriert, auch stellvertretende Racheakte an Kindern», sagt Yamina Lourghi, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei Terre des Femmes.

Mit einer Software werde in Spanien landesweit eine Risikobewertung vorgenommen. Wenn ein besonders hohes Risiko für die Gefährdung der Frau vorliege, müssten Gewalttäter GPS-Armbänder tragen. Damit werden Lourghi zufolge Kontaktverbote überwacht. Auch werde unter Umständen das Umgangsrecht für gemeinsame Kinder ausgesetzt. Auch andere EU-Staaten hätten bereits eine nationale Strategie und nähmen im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen weit mehr Geld in die Hand als Deutschland, betont die Expertin.

Femizide in Deutschalnd «weggeblendet»?

Mit Unterzeichnung der Istanbul-Konvention des Europarates hat sich Deutschland verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Nach den Richtlinien dieses Abkommens fehlen jedoch bundesweit knapp 15.000 Frauenhaus-Plätze.

«Die maximale Gewalt gegen Mädchen und Frauen, die Femizide, werden in Deutschland weggeblendet, es gibt seitens des Staates nicht einmal eine Begriffsdefinition», kritisiert Kristina Wolff, die seit 2019 Femizide dokumentiert und wissenschaftlich auswertet. Notwendig seien Änderungen im Strafrecht, allerdings müsse weit früher angesetzt werden, meint die Wissenschaftlerin und Aktivistin. Erforderlich seien verpflichtende Schulungen zur Gewaltprävention von der Kindheit an, die später auch berufsbegleitend erfolgen müssten.

Anders als für Männer sei es für Frauen eine reale Gefahr, getötet oder schwer verletzt zu werden, wenn sie ihr Leben nicht mehr mit dem bisherigen Partner verbringen wollen, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes: «Dieser geschlechtsspezifischen Gewalt dürfen weder Justiz noch gesellschaftliches Umfeld mit Nachsicht, Verständnis oder Strafmilderungen begegnen.»

Besitzdenken nicht strafverschärfend betrachtet

Wenn Männer in Trennungssituationen ihre frühere Partnerin töteten, wurde das bisher vor Gericht oft lediglich als Totschlag und nicht als Mord gewertet. Die aufgewühlte emotionale Situation des Täters wurde als strafmildernd betrachtet, sein patriarchales Besitzdenken, das der Frau kein Leben ohne ihn zugestand, dagegen nicht als strafverschärfend.

Besma A. aus der Kleinstadt Einbeck wurde im April 2020 getötet, seit Januar 2021 muss sich ihr mehr als 20 Jahre älterer Ehemann vor Gericht verantworten. Begleitet wird der Prozess von der Initiative gegen Femizide, die unter anderem am zweiten Todestag der 27-Jährigen eine Mahnwache veranstaltete. «Femizide sind ein strukturelles Problem und haben ihre Wurzeln im Patriarchat und nicht in bestimmten Kulturen oder Traditionen», sagt eine Sprecherin der Initiative.

«Im Prozess geht es viel um die Schuldfähigkeit des Täters und nicht um die Gewalt in der Ehe und um Besmas Situation», kritisieren die Aktivistinnen. Sie setzen sich für «ein angemessenes Gedenken für Besma» ein und unterstützen ihre Angehörigen.

Auch in Berlin-Pankow gab es für die Ende April erstochene sechsfache Mutter einen Gedenkmarsch. Die Behörden wollen aufarbeiten, ob alles für den Schutz der 31-Jährigen getan wurde, nachdem diese ihren Mann mehrfach wegen häuslicher Gewalt angezeigt hatte.

Zahl der Femizide in Deutschland steigt

Erst seit 2015 veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) eine eigene Statistik zur Gewalt in Partnerschaften. Im Jahr 2020 wurden laut BKA 139 Frauen sowie 30 Männer von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet. Nach Auswertung von Kristina Wolff sind noch weit mehr Menschen von Femiziden betroffen, zum Beispiel von ihren Brüdern, Cousins oder von Stalkern getötete Frauen. Zudem seien sehr oft Kinder in das Tatgeschehen involviert. Wolff ist davon überzeugt, dass die Zahl der Femizide in Deutschland gestiegen ist.

Der Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, Jörg Kinzig, betont dagegen, dass umfassende Daten zu sogenannten Femiziden in Deutschland fehlen. Die wissenschaftlichen Arbeiten konzentrierten sich bisher auf sogenannte «Ehrenmorde» sowie Tötungen in Partnerschaften. Gemeinsam mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) sollen in einem dreijährigen Projekt Tötungen von Frauen in Deutschland untersucht werden.

Grundlage sind Akten aus Strafverfahren in Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2017. In diesem Zeitraum gab es in den vier Bundesländern 352 Tötungen von Frauen - wie häufig sie wegen ihres Geschlechts zum Opfer wurden, ist unklar. Tatmotive sind den Forschern zufolge zum Beispiel männliches Besitzdenken, patriarchalische Frauenverachtung, sexuelle Frustration sowie genereller Frauenhass.


Bildnachweis: © Initiative gegen Femizide/Initiative gegen Femizide Göttingen/dpa
Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

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