12. Januar 2022 / Aus aller Welt

Freitesten (zu) leicht gemacht? Was Antigentests können

Angesichts der hochinfektiösen Omikron-Variante steigt die Unsicherheit. Sind die vielgenutzten Antigentests überhaupt verlässlich? Was über ihre Wirksamkeit bekannt ist.

Besonders bei geringerer Viruslast schlagen Antigentests oft nicht an.
von Josefine Kaukemüller, dpa

Die zahlreichen Abstriche aus Mund und Nase sorgen täglich für etwas Gewissheit in der Corona-Lage. Wegen rasant ansteigender Fallzahlen durch die vorpreschende Omikron-Variante rückt die Teststrategie in Deutschland nun einmal mehr in den Fokus.

Die Bundesregierung will etwa ein vorzeitiges Freitesten aus der Quarantäne nicht nur mit PCR-Tests, sondern auch mit «hochwertigen» Antigentests ermöglichen. Viele Experten halten diese Idee aber für schlecht und verweisen auf die Grenzen von Antigentests. Doch auch die PCR-Testkapazitäten sind nicht unerschöpflich.

Bisherige Erkenntnisse zeigen: Besonders bei geringerer Viruslast schlagen Antigentests, zu denen etwa Schnell- und Selbsttests gehören, oft nicht an. «Ein Freitesten nur mit Antigentest, das geht nicht», sagt deshalb der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski, der Deutschen Presse-Agentur. Er halte ein solches Freitesten für ein problematisches Signal und wendet ein: «Die Tests wären nach wenigen Tagen quasi alle negativ und man würde den Menschen eine falsche Sicherheit zeigen. Da muss man ganz zurückhaltend sein.»

Trotz dieses Einwands hält die Bundesregierung an der Möglichkeit fest, eine Corona-Quarantäne auch mit einem negativen Antigen-Schnelltest zu beenden. Besonders am Ende einer Infektion seien die Antigentests auch bei Omikron «sehr sensitiv», sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums dazu.

Anderes Testprinzip - andere Zuverlässigkeit

Dass PCR- und Antigentests unterschiedlich exakt sind, liegt an ihrer Funktionsweise. Bei PCR-Tests werde in komplexen Arbeitsschritten mit Hilfe eines speziellen PCR-Geräts das Erbmaterial des Erregers im Labor nachgewiesen, erklärt Martin Roskos vom Labor-Dienstleister Synlab Deutschland. Bei Antigentests werden Proteine, die charakteristisch für das Virus sind, nachgewiesen - durch Selbsttests oder Schnelltests, etwa zuhause oder bei einer Teststelle. Auch eine laborbasierte Auswertung von Proben, die generell genauer sei als bei Selbst- oder Schnelltests, so Roskos, ist möglich.

Der Unterschied bei der Zuverlässigkeit sei aber speziell bei asymptomatischen Corona-Infektionen bei allen Antigentests im Vergleich zum PCR-Test «ganz erheblich», gibt der Lübecker Labormediziner Bobrowski zu bedenken. «Das Hauptproblem, was sowohl der laborgestützte Antigentest als auch der Schnelltest hat, ist einfach die deutlich zurückgehende Sensitivität bei sinkender Viruslast.» Das gelte auch für die Virusvariante Omikron.

Die Sensitivität ist einer von zwei Werten, die für die Zuverlässigkeit von Corona-Tests eine Rolle spielen. Während die Spezifität angibt, wie viele Nicht-Infizierte korrekt ein negatives Ergebnis erhalten, zeigt die Sensitivität den Anteil der mit dem Virus Infizierten an, die tatsächlich korrekt ein positives Testergebnis erhalten. Was also trügerisch sein kann: Ein negatives Antigentest-Ergebnis schließt eine Infektion nicht zwingend aus - und kann auch aus einer geringen Viruslast zum Testzeitpunkt resultieren.

Unterschiede bei Sensitivität und Spezifität

Konkret lägen bei PCR-Tests sowohl die Sensitivität als auch die Spezifität beim Coronavirus bei fast 100 Prozent - auch bei geringer Viruslast, so die Experten. Bei Infizierten mit Symptomen funktionierten die Antigentests recht zuverlässig, sagt Bobrowski: Die Sensitivität liege bei etwa 80 und die Spezifität bei etwa 95 Prozent. Bei asymptomatischen Verläufen mit geringer Viruslast sei das anders: Hier falle nur bei etwa der Hälfte der Infizierten der Antigentest korrekt positiv aus. «Das heißt, wir übersehen die Hälfte.»

Auch erste Studienergebnisse geben Hinweise darauf, dass Antigentests bei Omikron frühe Infektionen übersehen könnten. Laut einer Studie eines Teams um Blythe Adamson (University of Washington) zeigte ein direkter täglicher Vergleich von PCR-Tests im Speichel und nasalen Antigentests bei einer Kohorte von 30 Menschen, dass letztere eine Omikron-Infektion oft erst wesentlich später erkannten. Die meisten Omikron-Infizierten waren demnach einige Tage lang infektiös, bevor dies durch Antigen-Schnelltests nachgewiesen werden konnte. Die Studie ist noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht.

Mehrheit der Schnelltests erkennt Omikron

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verweist in einer Online-Übersicht darauf, dass Antigentests nicht zur sicheren Diagnose einer Corona-Infektion entwickelt worden seien, sondern um Menschen mit einer sehr hohen Viruslast schnell und einfach zu identifizieren. Auch seitens des PEI heißt es: Eine Infektion, auch mit der Omikron-Variante, könnten die Tests nur entdecken, wenn zum Testzeitpunkt eine hohe Viruslast bestehe.

Aber: Grundsätzlich kann der Großteil der in Deutschland angebotenen Corona-Schnelltests laut PEI die Omikron-Variante erkennen. Der Präsident des Instituts, Klaus Cichutek, sagte zuletzt im ZDF-«Morgenmagazin», dass das Institut mittlerweile über 250 Test-Produkte auf ein höheres Level an Sensitivität bewertet habe und mindestens 80 Prozent dieses Niveau auch schafften.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte eine «Positivliste» für Schnelltests angekündigt, die Omikron gut erkennen können. Die vom PEI genannten Daten seien ein Zwischenstand, erläuterte ein Gesundheitsministeriumssprecher. Das Erstellen der kompletten Liste dauere an. Er bekräftigte, dass Schnelltests keine 100-prozentige Gewissheit böten, aber für mehr Sicherheit im Alltag sorgten.

PCR-Kapazitäten am Limit?

Zuletzt warnte etwa der Ärzteverband Marburger Bund vor möglichen Engpässen bei PCR-Tests. Das Gesundheitsministerium gab dazu an, die mögliche Wochen-Kapazität von 2,4 Millionen Tests werde mit derzeit bis zu 1,5 Millionen PCR-Tests noch nicht ausgereizt. Der Vorsitzende des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM), Michael Müller, sagte: «Die Belastung in den Laboren ist zwar erheblich, aber ich sehe keinen Grund für zu große Sorgen.» Bei zunehmendem Testgeschehen und begrenzten Kapazitäten komme es darauf an, die Nationale Teststrategie stärker in den Fokus zu nehmen.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte zu den Laborkapazitäten, es wäre «fahrlässig», die Nachfrage ohne erkennbaren Nutzen zu erhöhen. Angesichts steigender Corona-Zahlen sei bald schließlich auch eine höhere Auslastung der Labore zu erwarten.

Sollten die Fallzahlen so massiv ansteigen, dass die Kapazitäten knapp würden, müssten aus Sicht von Laborarzt Bobrowski PCR-Tests von Menschen aus Risikogruppen und von Beschäftigten der kritischen Infrastruktur bevorzugt ausgewertet werden, um binnen 24 Stunden Ergebnisse zu haben. Die Nationale Teststrategie sieht so eine Priorisierung vor.


Bildnachweis: © Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
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