14. Januar 2023 / Aus aller Welt

Gegen den Hass - Selbstverteidigung für queere Menschen

Schlagen, Treten, Spucken: Die erfasste Zahl der Übergriffe auf homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen in Berlin steigt. Für Betroffene gibt es Angebote, um sich selbst zu schützen.

Kurs-Trainerin Valerie Banik führt im Queeren Nachtclub «SchwuZ» Techniken zur Selbstverteidigung vor.
von Jonathan Penschek, dpa

Ein fester Schlag gegen die Boxpratze, dazu ein lauter «Stopp!»-Schrei. Im Club «Schwuz» in Berlin-Neukölln läuft ein Selbstverteidigungskurs für queere Menschen. Der Kurs heißt «Queerschutz Now». Menschen bezeichnen sich oft selbst als queer, wenn sie nicht heterosexuell sind oder die eigene Geschlechtsidentität von dem Geschlecht abweicht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde.

Wenn Hannah ihre Freundin küsst, fühlt sie sich nicht immer sicher. «Ich wurde auch schon mal angespuckt», erzählt sie. «Ich wurde schon öfter angepöbelt auf der Straße, aber es wurde nie extrem. Ich bin aber gerne vorbereitet.» Andere Teilnehmer haben noch drastischere Erfahrungen mit körperlicher und seelischer Gewalt gemacht.

«Gerade queere Menschen werden öfter angegriffen, einfach nur, weil sie anders sind», sagt Nadine Wöthe. «Zumindest anders, als die Dominanzgesellschaft sie gerne hätte», fügt Valerie Banik hinzu. Die beiden sind die Trainerinnen, die den Kurs anleiten und selbst viele Jahre Erfahrung in dem Bereich mitbringen.

Queere Menschen brauchen laut Banik eigene Selbstverteidigungskurse, um sich besser entfalten zu können als in Mainstream-Kursen. «Meine Lernfähigkeit verbessert sich, wenn ich mich sicher fühle. Wenn ich die ganze Zeit darüber nachdenke, was die Leute von mir denken, geht das nicht.» Wöthe bestätigt, dass viele queere Menschen sich in klassisch gemischten Kursen unwohl fühlen. «Ich werde in queeren Clubs ganz oft darauf angesprochen, ob es da nicht solche Angebote gibt. Deswegen wollten wir diesen Kurs machen.»

Mehr als 450 homosexuelle- oder transfeindliche Straftaten

Im Jahr 2021 gab es in Berlin laut Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung 456 registrierte Straftaten, die homosexuellen- oder transfeindlich waren. Das sei der höchste Wert, der jemals erfasst wurde - 2020 waren es 377 Straftaten, im Jahr 2019 waren es 358. Auch weil diese Zahlen steigen, hat die Berliner Polizei zwei Ansprechpersonen für Straftaten, die gegen queere Menschen gerichtet sind.

«Die Polizei erfasst nur einen Bruchteil», sagt Bastian Finke. Er ist Projektleiter von «Maneo», einem Anti-Gewalt-Projekt für schwule und bisexuelle Männer in Berlin. Bis zu 90 Prozent der Straftaten blieben im Dunkelfeld. «Viele Menschen trauen sich nicht, eine Anzeige zu erstatten. Zum Beispiel auch, weil sie nicht gelernt haben, sich zu wehren, oder weil dabei traumatische Erinnerungen hoch kommen.» Es geht um Straftaten wie Sachbeschädigung, Zwangsverheiratung sowie sexuelle, psychische und körperliche Gewalt, bei denen «Maneo» berät.

Ein anderes Problem sieht Finke darin, dass Polizisten oft nicht geschult seien, sensibel mit der Thematik umzugehen und nach den Motiven der Täter zu fragen. Das erschwert eine Einordnung als Hasskriminalität, um die sich der Staatsschutz kümmert. «Berlin ist da schon sehr gut aufgestellt.» Trotzdem seien Selbstverteidigungskurse wichtig, um sich körperlich und psychisch zu wehren. «Das hilft, eigene Grenzen zu erkennen, aber auch, um Solidarität untereinander zu formen», so Finke.

Neben «Queerschutz Now» gibt es in Berlin noch weitere Projekte, die Kurse zur Selbstverteidigung anbieten - darunter «Gaysha» in Kreuzberg, «Queerspiele» in Friedrichshain oder «Vorspiel» in Schöneberg. Trotzdem gibt es laut Trainerin Wöthe zu wenig Angebote für den Bedarf. Einen Grund sieht sie in mangelnder Förderung durch staatliche Stellen.

«Wir wollen alle in ihren Lebensrealitäten abholen»

Das Bezirksamt Neukölln fördert das Projekt «Queerschutz Now», die Initiative geht auf mehrere Verbände zurück. Veranstaltungen sind im queeren Club «Schwuz» in Neukölln oder im queeren Jugendtreff «Q*ube», denn es soll auch Kurse für Jugendliche unter 17 Jahren geben. «Wir wollen alle in ihren Lebensrealitäten abholen», sagt Banik. Deswegen gebe es Angebote für Jugendliche, Frauen und auch Menschen mit Migrationshintergrund - alle mit queerem Schwerpunkt.

In den Kursen bekommt man vor allem eine Strategie vermittelt: Was kann ich tun, um mich selbst zu schützen? Es geht laut Valerie Banik weniger darum, konkrete Griffe oder Techniken zu lernen, sondern darum, das Bewusstsein zu schärfen. Nadine Wöthe ergänzt: «Wir können nicht versprechen, dass solche Situationen nach dem Kurs nicht mehr passieren. Aber wir können den Leuten Handlungsoptionen geben, um mit diesen Situationen umzugehen.»


Bildnachweis: © Christophe Gateau/dpa
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