22. Dezember 2021 / Aus aller Welt

Vortragsrednerin durfte Naidoo als Antisemiten bezeichnen

Bei einem Fachvortrag 2017 nennt eine Frau den umstrittenen Sänger Xavier Naidoo einen «Antisemiten» - und handelt sich eine Klage ein. Gerichte verbieten ihr die Aussage zunächst. Aber jetzt bricht Karlsruhe eine Lanze für die Meinungsfreiheit.

Der Sänger Xavier Naidoo 2017 in München.
von Anja Semmelroch und David Langenbein, dpa

Einer Vortragsrednerin, die den Sänger Xavier Naidoo 2017 als Antisemiten bezeichnet hatte, sind diese Äußerungen zu Unrecht verboten worden.

Eine Verfassungsbeschwerde der Frau hatte Erfolg, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch mitteilte. Die Gerichte, die Naidoos Klage stattgegeben hatten, hätten «die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf» verkannt. (Az. 1 BvR 11/20)

Die Referentin der Amadeu Antonio Stiftung hatte einen Vortrag zum Thema «Reichsbürger» gehalten und war im Anschluss gefragt worden, wie sie den umstrittenen Sänger aus Mannheim einstufe. Sie hatte geantwortet, sie sehe ihn «mit einem Bein bei den Reichsbürgern». Und: «Er ist Antisemit, das darf ich, glaub' ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.» Anlass waren Liedtexte und Interviewäußerungen Naidoos sowie eine Rede vor dem Reichstag 2014. «Reichsbürger» lehnen die Bundesrepublik als Staat und ihre Behörden ab.

Das Landgericht Regensburg und das Oberlandesgericht Nürnberg hatten der Frau die Behauptung verboten. Die Äußerungen beeinträchtigten die personale Würde Naidoos und hätten eine Prangerwirkung. Außerdem sei die objektive Richtigkeit der Aussage nicht hinreichend belegt.

Diese Urteile sind nach der Karlsruher Entscheidung in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Naidoo habe sich «mit seinen streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben» und beanspruche «für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit». Ihm deshalb einen «besonderen Schutz zuteilwerden zu lassen, hieße Kritik an den durch ihn verbreiteten politischen Ansichten unmöglich zu machen», schreiben die Verfassungsrichterinnen und -richter.

Durch ihren Zusammenhang könnten die Äußerungen auch nicht dahingehend missverstanden werden, dass er die Würde jüdischer Menschen durch nationalsozialistisches Gedankengut verletze.

Auch wenn die Entscheidung zum Teil sehr grundsätzlich klingende Passagen enthält, bezieht sie sich rein formal auf einen konkreten Vorfall im Jahr 2017. Vor Gericht wird eine Äußerung üblicherweise nach ihrem genauen Wortlaut und dem Kontext beurteilt. Ob heute jemand in einer anderen Situation Naidoo als «Antisemiten» bezeichnen dürfte, müsste im Zweifel in einem neuen Prozess geklärt werden.

Gericht muss Aussagen neu bewerten

Mit dem Fall von damals muss sich nun noch einmal das Landgericht befassen. Dabei ist es an die Vorgaben aus Karlsruhe gebunden. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verschrieben hat, wertete die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer Reaktion vom Mittwoch «als enormen Erfolg für die politische Bildung und für den Kampf gegen Antisemitismus».

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er sehe in der Entscheidung «eine Ermutigung für alle Bürgerinnen und Bürger, gegen Antisemitismus einzutreten». Im Kampf gegen Judenhass brauche es Menschen, die diesen auch klar und mutig benennen würden.

Bekanntgeworden war der Soulsänger Naidoo in den späten 1990er Jahren. Mit dem Song «Sie sieht mich nicht» zum Film «Asterix und Obelix gegen Caesar» landete er damals einen großen Hit. Zahlreiche seiner Alben erreichten Platz eins der Charts. Auch mit der Gruppe Söhne Mannheims gelangen dem gebürtigen Mannheimer große Erfolge. Naidoo gewann zahlreiche Preise, darunter mehrere Echos.

Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 spielte die deutsche Nationalmannschaft zur Erbauung vor den Spielen sein Lied «Dieser Weg» in der Kabine. Als Coach in der Casting-Show «The Voice of Germany» und in der Sendung «Sing meinen Song - Das Tauschkonzert» war Naidoo auch regelmäßig im Fernsehen zu sehen.

Doch zunehmend kam es zu Kontroversen um den Sänger. Am Tag der Deutschen Einheit 2014 sprach er in Berlin bei einer Demonstration von «Reichsbürgern». Naidoo betonte später, dass er mit den «Reichsbürgern» nichts zu tun habe.

2020 nahm ihn RTL schließlich aus der Jury der Sendung «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS). Es war ein Video aufgetaucht, in dem zu sehen ist, wie er ein Lied mit Textzeilen singt, die von vielen als rassistisch kritisiert werden. Bei Facebook schrieb Naidoo, seine Aussagen seien absolut falsch interpretiert worden. Seine Erklärungen reichten RTL jedoch nicht.

Immer wieder werden ihm in den vergangenen Jahren Nähe zu Rassismus und rechtsextremen Verschwörungserzählungen vorgeworfen. Der Sänger wehrt sich gegen die Kritik.


Bildnachweis: © Peter Kneffel/dpa
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