22. Oktober 2022 / Aus aller Welt

Weißer Ring fordert mehr Schutz für betroffenen Frauen

Der Weiße Ring drängt beim Schutz von Frauen vor geschlechtsbezogener Gewalt auf Tempo. Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer steckt zudem in einem Generationswechsel.

Patrick Liesching sieht deutlichen Nachholbedarf beim Schutz von Frauen.
von dpa

Der neue Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Patrick Liesching, sieht deutlichen Nachholbedarf beim Schutz von Frauen vor gewalttätigen Partnern und Ex-Partnern in Deutschland.

«Wir brauchen unbedingt eine effektive Überwachung von Straftätern, die gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen, und fordern die Politik zum schnellen Handeln auf», sagte der Jurist im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Wir kennen eine Reihe von Fällen, in denen gerichtliche Näherungsverbote ausgesprochen wurden und es trotzdem zu einer Tötung kam», sagte der Staatsanwalt. «Einen Großteil der Fälle könnte man mit einer effektiven elektronischen Überwachung verhindern.»

Ein Beispiel

Als Beispiel nannte Liesching eine Ärztin, die von ihrem Ex-Partner vor der eigenen Haustür erstochen wurde, obwohl vorher ein Näherungsverbot ausgesprochen worden war. Der kleine Sohn der Frau habe seine Mutter schon durch die Sprechanlage gehört und mit der Oma in der Wohnung gewartet, als der Täter zustach. «Wenn es in dem Fall eine elektronische Fußfessel gegeben hätte und es wäre ein Alarm losgegangen, als er sich ihr näherte, dann wäre die Frau heute vielleicht noch am Leben.»

In Deutschland sei die Istanbul-Konvention 2018 in Kraft getreten. Der Staat habe vier Jahre Zeit gehabt, diese umzusetzen, mahnte Liesching. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist ein 2011 ausgearbeiteter völkerrechtlicher Vertrag. Erst kürzlich hat der Europarat jedoch gravierende Defizite in Deutschland beim Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt festgestellt.

«Das ist Wasser auf unsere Mühlen und unterstreicht noch einmal unsere Forderungen, die wir Anfang des Jahres in einem Brandbrief an die Politik geäußert haben», betonte Liesching. «In verschiedenen Bundesländern gibt es Gesetzesentwürfe etwa zur Aufenthaltsüberwachung bei Verstößen gegen das Näherungsverbot.» Hessen beispielsweise plane eine elektronische Aufenthaltsüberwachung auf Fälle der häuslichen Gewalt auszudehnen. Auch in Brandenburg sollten laut Gesetzentwurf in Hochrisikofällen elektronische Fußfesseln für potenzielle Gewalt- und Sexualstraftäter möglich sein. «Jetzt gilt es, diese Pläne schnell in die Tat umzusetzen.»

Ein Problem sei auch «der Flickenteppich in Deutschland». «Wir haben Länder wie Rheinland-Pfalz, in denen die Polizei ein Risikomanagement betreibt, und wir haben Länder, in denen gibt es gar nichts.» Mit einer Arbeitsgruppe auf Bundesebene könne dies vereinheitlicht werden, regte der Bundesvorsitzende des Weißen Rings an.

Entschädigung für Opfer

Außerdem treibt Liesching das Thema Nachwuchs um. «Wir befinden uns in einem Generationswechsel», sagte der 50-Jährige. Er wirbt um ehrenamtliche Mitarbeitende aus «allen gesellschaftlichen Schichten, Berufen und Altersgruppen». «Alle Mitarbeitenden können beim Weißen Ring selbst bestimmen, wie viel Zeit sie aufwenden möchten, so dass ehrenamtliches Arbeiten bei uns sowohl Studierenden, Vollzeit-Berufstätigen als auch Senioren möglich ist», so Liesching. «Unsere Erfahrung ist, Opfer öffnen sich eher jemandem gegenüber, der der eigenen Altersgruppe angehört.» Weit mehr als die Hälfte der Ehrenamtlichen seien inzwischen Frauen. «Kriminalitätsopfer, die sich an den Weißen Ring wenden, sind ebenfalls überwiegend Frauen.»

Die finanzielle Entschädigung von Kriminalitätsopfern ist ein weiterer Schwerpunkt der Hilfsorganisation. «Bei der Umsetzung des Opferentschädigungsgesetzes sind wir mit der Politik und der Verwaltung im Dialog, was man verbessern kann», berichtete Liesching. «Das ist gerade erst angestoßen und der Prozess wird noch eine Weile brauchen.» Dabei gehe es aber nicht um «Almosen nach Gutdünken», betonte der Jurist. «Wenn der Staat den Einzelnen nicht vor Kriminalität schützen kann, steht er in der Pflicht, ihn zu entschädigen.» Aktuell würden aber so viele Anträge auf Entschädigung abgelehnt wie schon seit 20 Jahren nicht mehr. Das zeige die Weiße-Ring-Analyse der Zahlen von 2021.

Liesching leitet hauptberuflich die Staatsanwaltschaft Fulda. Er ist vor rund einem Monat zum Bundesvorsitzenden der Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität gewählt worden. Damit tritt er die Nachfolge von Jörg Ziercke an. Der 75 Jahre alte ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts hatte aus Altersgründen nicht mehr kandidiert.


Bildnachweis: © Andreas Arnold/dpa
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