2. Dezember 2022 / Aus aller Welt

30 Jahre nach Öl-Inferno an der «Todesküste»

Die Stadt A Coruña erlebte vor 30 Jahren ihren «schwärzesten Tag». Die spanische Hafenstadt wurde damals Opfer einer der schlimmsten Ölkatastrophen in Europa. Einige leiden heute noch darunter.

An Spaniens Atlantikküste herrscht am Strand von Orzan wieder Normalität. Die Angst vor einer neuen Ölkatastrophe bleibt aber.
von Emilio Rappold, dpa

«Es war die Hölle auf Erden. Ich zittere heute noch, wenn ich daran denke. Manchmal habe ich sogar Alpträume, immer noch.» Antonio erinnert sich, als wäre es gestern passiert. Dabei ist es schon 30 Jahre her: Am frühen Morgen des 3. Dezember 1992 lief der Öltanker «Aegean Sea» an den Klippen vor dem Hafen der spanischen Stadt A Coruña im Nordwesten des Landes auf Grund. Nach einigen Stunden brach das griechische Schiff entzwei. Kurz danach eine ohrenbetäubende Explosion, und die «Aegean Sea» ging in Flammen auf. Eine riesige, dichte, schwarze, stinkende Rauchsäule machte binnen Minuten den Tag zur Nacht. «Der schwärzeste Tag von A Coruña», titelte am Sonntag im Rückblick die Regionalzeitung «La Opinión».

Antonio, der seinen ganzen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, muss im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur mehrmals die Sonnenbrille abnehmen, um sich Tränen abzuwischen. «Es war beängstigend. Alles schwarz, der Himmel, der Horizont», erzählt der 80-Jährige, dessen Wohnung an der Strandpromenade liegt. Die Havarie des 260 Meter und 40 Meter breiten Tankers geschah bei schlechtem Wetter nur hundert Meter vor dem Herkulesturm, einem 2000 Jahre alten römischen Leuchtturm, dem Wahrzeichen der Stadt.

Unter vielen brach Panik aus. 3000 Bewohner sowie Hunderte Touristen aus küstennahen Hotels wurden in Sicherheit gebracht. Die 30-köpfige Besatzung - aus Griechenland und den Philippinen - und der griechische Kapitän sprangen ins stürmische Meer, um sich zu retten. 

Angst überall

Antonio war nicht der einzige, der damals zitterte. Sogar Menschen, die Verantwortungsämter inne hatten, geben zu, dass sie große Angst hatten. Ex-Bürgermeister Francisco Vázquez verriet der Zeitung «La Opiniòn», man habe wegen des giftigen Rauchs ans Schlimmste gedacht. «Wir hatten Pläne zur Evakuierung der ganzen Stadt.» Rafael Lobeto Lobo, seinerzeit Chef der spanischen Handelsmarine, fuhr am 3. Dezember nach A Coruña. «Als ich ankam, wollte ich am liebsten wieder weglaufen», erzählte er nun dem Blatt.

Das Feuer konnte nach rund 30 Stunden gelöscht werden. Niemand starb. Aber die Folgen für die Umwelt und für Tausende Menschen waren verheerend. Der größte Teil der Ladung von 80.000 Tonnen Rohöl floss ins Meer. Fast doppelt so viel wie beim Unfall des US-Tankers «Exxon Valdez» 1989 vor Alaska. Ein Ölfleck, mit 50 Quadratkilometern so groß war wie 7000 Fußballfelder, zog rund 300 Kilometer der Küste Galiciens in Mitleidenschaft. Mindestens 26.000 Tiere, vor allem Seevögel und Fische, verendeten laut Ökologen. Rund 4000 Fischer und Muschelsammler wurden für längere Zeit arbeitslos.

Dem Schiffskapitän und dem zuständigen Hafenlotsen wurden Geldstrafen von je 300.000 Pesetas (ca. 2000 Euro) auferlegt. Und der spanische Staat gewährte nach langer Fehde den Betroffenen, darunter der Reederei und dem Ölhändler sowie den Fischern, Entschädigungen von insgesamt mehr als 125 Millionen Euro - aber erst nach zehn Jahren.

Katastrophen in Folge

Es war damals bereits die dritte Ölkatastrophe in nur 16 Jahren an der «Costa da Morte», der wegen der vielen Felsenriffe, Unwetter und Schiffsunglücke berüchtigte «Todesküste». 1976 geriet vor A Coruña die «Urquiola» in Brand. 100.000 Tonnen Rohöl verseuchten das Meer. Zwei Jahre später explodierte die «Andros Patria» vor den Sisargas-Inseln. 34 Seeleute starben, 50.000 Tonnen Rohöl traten aus.

Verständlich, dass die «Coruñeses» 1992 die Nase gestrichen voll hatten. Zehntausende gingen auf die Straße und forderten «Nunca Máis!» (Nie wieder!). Umsonst. Nur zehn Jahre später, Ende November 2002, eine neue, riesige Ölkatastrophe. Diesmal weiter weg von der Küste ging der Tanker «Prestige» unter. 63.000 Tonnen Öl gelangten in den Ozean und verschmutzten 2900 Kilometer Küste. 200.000 Seevögel kamen ums Leben. Der Ölfleck erreichte diesmal mehrere Regionen Nordspaniens und Teile der Küsten Portugals und Frankreichs.

Das war die letzte große Ölkatastrophe in Europa. Unter anderem auch deshalb, weil die Sicherheitsvorkehrungen an Bord und an den Häfen verbessert wurden. Aber unmöglich sei eine Wiederholung nicht, warnen Experten. Vor der Küste Galiciens, einer der am stärksten befahrenen «Meeresautobahnen» Europas, verkehrten 40.000 Schiffe pro Jahr, von denen ein Drittel gefährliche Güter transportiere, sagen Xaquín Rubido, Sprecher der Bewegung «Nunca Mais», und Cristóbal López von der Umweltgruppe Ecologistas en Acción jüngst im Fernsehen.

Schwere Folgen auch Jahrzehnte später

«Allein die Zahl macht's», so López. Zudem gebe es noch viele Flaggenstaaten, die so etwas wie «Steuerparadiese» seien, weil sie kaum Kontrollen der bei ihnen registrierten Schiffe durchführten, betont Rubido. «Es könnte wieder passieren, ja, aber wir sind besser vorbereitet», beteuert José Arrojo von der spanischen Handelsmarine.

Ein schwacher Trost für viele «Mariscadoras», die Muschelsammlerinnen Galiciens. Sie werden «Mujeres de Hierro», «Frauen aus Eisen» genannt, weil sie zäh seien und nie krank würden, obwohl sie oft bis ins hohe Alter im kalten Atlantik-Wasser nach Meeresfrüchten suchen.

María Teresa war auch nie krank, bis sie 1992 und auch 2002 bei der Befreiung der Strände vom klebrigen und giftigen Schmutz half. «Ich habe seitdem Asthma und viele andere Probleme», erzählt die 72-Jährige der dpa. «Und ich habe seitdem immer wieder Hautallergien», sagt Rosalía (67). Bei Studien sei aber kein Zusammenhang zu den Katastrophen ermittelt worden, erzählen beide leise. Sie klingen dabei resigniert.


Bildnachweis: © Emilio Rappold/dpa
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