3. Januar 2023 / Aus aller Welt

Fachtierärzte warnen vor «Notstand»: Fische gefährdet

Während es für die Versorgung menschlicher Patienten an Arzneimitteln mangelt, dürfen Tierärzte manche Medikamente nach einer Gesetzesreform nicht mehr einsetzen. Aquarianer etwa bekommen das zu spüren.

Die Fischtierärztin Sandra Lechleiter in ihrer Praxis mit einem betäubten Goldfisch während einer klinischen Untersuchung.
von Marco Krefting, dpa

Das Wimpertierchen Ichthyophthirius multifiliis ist zwar mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, kann aber erhebliche Schäden in Aquarien und Aquakulturen anrichten. Der einzellige Parasit besiedelt bei Fischen Haut und Kiemen und verursacht die Weißpünktchenkrankheit.

Die wiederum kann ein erfahrener Aquarianer nach Einschätzung von Fischtierärztin Sandra Lechleiter zwar problemlos mit bloßem Auge erkennen - das könnte ihm infolge einer Gesetzesreform jedoch bald nicht mehr viel bringen.

Denn nach dem vergangenes Jahr in Kraft getretenen Tierarzneimittelgesetz sind spätestens ab 2027 alle antimikrobiell wirksamen Arzneimittel - neben Antibiotika auch jene gegen Viren, Pilze und Protozoon (Einzeller) - verschreibungspflichtig. «Ihre Anwendung ist also nur noch nach einer Untersuchung und Verschreibung durch den Tierarzt erlaubt», machte Lechleiter vor kurzem bei einer Veranstaltung des Verbands Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde deutlich. Solche Präparate bräuchten zudem eine Zulassung.

Nur etwa ein Dutzend Fachtierärzte für Fische mit eigener Praxis

Weil Zierfischmedikamente aber ein Nischenmarkt sind, rechnet sich das Zulassungsverfahren nach Lechleiters Einschätzung für die großen Pharmabetriebe nicht. Kleinere Hersteller wiederum könnten sich die Kosten in Millionenhöhe für die Prüfung und Zulassung eines Arzneimittels nicht leisten.

Verschärfend komme hinzu, dass es in Deutschland nur etwa ein Dutzend Fachtierärzte für Fische mit eigener Praxis und andere spezialisierte Untersuchungsstellen gebe. Lechleiter beispielsweise hat ihre Praxis Fishcare in Neuenbürg bei Pforzheim, ist aber mehrere Tage in der Woche in der halben Republik unterwegs zu ihren schuppigen Patienten.

Durch das neue Gesetz werde also eine wesentliche Versorgungslücke aufgerissen und damit die Behandlung von Millionen von Tieren nicht nur gefährdet, sondern schlicht unmöglich gemacht, warnt die Fachfrau vor einem Notstand. Die Weißpünktchenkrankheit etwa trete sehr häufig auf und könne innerhalb weniger Tage einen Großteil der Fische in einem betroffenen Aquarium töten, wenn nicht schnell behandelt werde.

Auch Verena Jung-Schroers von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover ist Fachtierärztin für Fische. Krankheiten durch einzellige Parasiten seien fast täglich Thema in den Sprechstunden. Und hier kämen vor allem Besitzer teurer Kois, statt Guppy-Freunde. Aus Tierschutzsicht findet sie die Gesetzesänderung fraglich: «Die Fische sterben dann wirklich», macht Jung-Schroers deutlich. Zudem habe sie die Sorge, dass sich Besitzer auf dubiose Weise Mittel besorgen.

Daher plädiert sie ebenso wie Kollegin Lechleiter für Ausnahmen, um ein paar dieser Arzneimittel trotzdem weiter nutzen zu können. Das Bundeslandwirtschaftsministerium verweist allerdings auf eine EU-Verordnung, die dem neuen Tierarzneimittelgesetz zugrunde liegt. Die ziele unter anderem darauf ab, dass antimikrobiell wirksame Tierarzneimittel umsichtiger eingesetzt werden. Hintergrund sei hier, dass sich zunehmend Resistenzen gegen solche Medikamente bilden - diese also nichts mehr gegen die Erreger ausrichten können.

«Das geht bei Aquarien nicht so einfach»

Die Probleme seien den zuständigen Bundesministerien bekannt und mit den beteiligten Kreisen auch schon erörtert worden, teilt eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums dazu mit. Um generelle Versorgungslücken vorzubeugen, könnten bestimmte Präparate von der Zulassungspflicht freigestellt werden. Hier sind nach EU-Recht allerdings solche ausgenommen, die verschreibungspflichtig sind - also alle antimikrobiell wirksamen Tierarzneimittel. Soll es hier Änderungen geben, muss aus Sicht der Sprecherin die EU nochmal ran.

Jung-Schroers zufolge geht es um Zierfische. Für Speisefische gebe es andere Vorgaben für den Einsatz von Arzneimitteln - und vor allem ganz andere Möglichkeiten, Parasiten Herr zu werden. So könne etwa der Wasserdurchlauf in einer Forellenzucht erhöht werden, um die Mikroben auszuschwemmen. Oder man setze Fische in verschiedene Bassins. «Das geht bei Aquarien nicht so einfach.» Bei der höheren Wassertemperatur für Zierfische könnten sich zudem manche Parasiten deutlich besser verbreiten, erläutert die Expertin.

Für Menschen wiederum besteht ihren Angaben zufolge keine Gefahr. Die Krankheiten, um die es geht, seien nicht auf sie übertragbar. Aus Sicht des Bundesministeriums geht es bei den Regeländerungen auch vorrangig nur um die weltweite Problematik der Antibiotikaresistenz. Mögliche Rückstände von Arzneimitteln, die über das Fischwasser in Kanalisation oder Umwelt gelangen könnten, spielen nach Auskunft der Sprecherin keine zentrale Rolle bei den Erwägungen.


Bildnachweis: © Uli Deck/dpa
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